-Montpellier-


COMÉDIE ET TRAGÉDIE


Der Garcon des Café Central, der trotz nicht mehr jungen Alters kanariengelbe kurze Hosen zu einem blaugelb gestreiften Hemd und rot gepunkteten Socken in weißen Sandalen trägt, bewegt sich mit vollen Tabletts galant tänzelnd um die dicht stehenden Tischgruppen und kommentiert die Bestellungen und Rückgänge, Neuzugänge und Zahlungen in nicht enden wollendem Enthusiasmus mit Ausrufen wie:
„Formidable! – C‘est vraiment formidable!“, „Incroyable, les jolies dames, incroyable!“ oder: „Très gentil, c‘est vraiment très gentil!“,
das alles in einem Singsang, der seinesgleichen sucht.
Mein Sitzplatz bietet einen guten Blick auf den Place de la Comédie, der seinen Namen einem Opernhaus mit der stolzen Aufschrift
Comédie et Tragédie
verdankt. Vor einem auf antik getrimmten Karussell steht ein Jugendlicher mit Dreadlocks und einer Gitarre, an der ein großes, noch von weitem lesbares Schild befestigt ist:
Je cherche Laila -
un ange avec
des cheveaux blondes
et les yeux
bleus comme le ciel

Seine Musik, melancholische Liebeslieder von Jimi Hendrix bis zu the Muse, wird vom Klingeln und Surren ankommender Straßenbahnen und einem Klangteppich französischen Stimmengewirrs untermalt.
Wann immer jemand auf ihn zugeht, lächelt er hoffnungsvoll, wann immer er Münzen in seiner auf dem Boden platzierten Baskenmütze klimpern hört, wirkt er beinahe enttäuscht.
Ein weißhaariger Mann mit Vollbart in abgewetztem braunem Anzug und roter Fliege setzt sich ungefragt zu mir an den Tisch, blickt eine Weile gedankenverloren in Richtung des Straßenmusikers und zieht dann umständlich eine Supermarkttüte aus seiner speckigen, alten Ledertasche.
Mit geschickten, flinken Fingern holt er einen Stapel Einstein-Fotografien heraus, öffnet in der Tüte eine Dose und nimmt einen Füllfederhalter zur Hand. Während er die Bilder schwungvoll mit Einstein- Signaturen versieht, nippt er verstohlen an einem in seiner Tüte versteckten Bier.