-Barcelona-


ROLLENSPIEL


In weite Kleidung gehüllt, eine Kapuze über dem Gesicht, die Wertsachen ganz unten im Schlafsack, wache ich in einem abgelegenen, kleinen Park in Bahnhofsnähe auf. Gerade geht die Sonne auf, erste, noch sanfte Strahlen streichen meine Lider. Von weitem höre ich das Geräusch öffnender Jalousien und bilde mir ein, frisch gemahlenen Kaffee zu riechen. Verschlafen sehe ich mich um und entdecke genau hinter mir auf der Bank einen Mann, der seinen Körper mit den Seiten einer Tageszeitung bedeckt hat. Schnell streife ich alle überflüssige Kleidung ab, werfe sie in meinen Rucksack, rolle den Schlafsack zusammen und gehe dem Duft des frisch gemahlenen Kaffees nach. Auf der Straßenseite gegenüber öffnet gerade eine kleine Bäckerei. Mit einem Kaffee setze ich mich auf eine Bank vor dem Bahnhof und werde von einem rotnasigen Mann in zerschlissener Kleidung angesprochen, der fragt, ob ich hungrig sei. Er zeigt mir im Mülleimer neben uns, wo er Zigaretten und Essensreste findet und bietet mir einen Schluck Weinbrand aus seinem Flachmann an. Ich bemerke den Blick eines Geschäftsmannes, in dem eine Mischung aus Sensationslust und Fremdscham liegt, winke ab, stehe auf und gehe in die Bahnhofshalle, um mich in einem Spiegel zu betrachten. Meine Haut ist verbrannt, meine Haare sind fettig, meine Füße schwarz und schwielig: Ich sehe aus, als hätte ich einige Zeit auf der Straße gelebt. Auf dem Weg in die Innenstadt laufe ich wieder an meinem Schlafplatz vorbei. Der Mann, der eben noch auf der Bank lag, sitzt nun in einer schwarzen Anzughose und einem sauberen, weißen Hemd da, hat die Zeitungsblätter ordentlich zusammengefaltet und blättert darin wie ein Frühaufsteher, der auf dem Weg zur Arbeit noch die Stille der schlafenden Stadt genießt.