Auf dem Gedenkstein einer überdimensionalen
Steinskulptur eines Mannes, einer Frau und eines
Hundes lese ich:
The diplomat, his wife and his dog
Eine Erklärung, welch herausragende Dienste der
Diplomat seinem Land erwiesen hat, das nicht nur er,
sondern auch seine Frau und sein Hund in Stein verewigt
wurden, fehlen. Eine Frau nähert sich langsam von der
Seite, blickt dabei immer wieder zurück zu einer
Parkbank, auf der sie Plastiktüten gelagert hat und
erzählt, wie ich nur ihren Gesten entnehmen kann, etwas
über das Denkmal.
Ich fühle mich wie bei einer
Museumstour, bei der ich keinen Guide gebucht habe
und dennoch einer kommt, wenn auch in der falschen
Sprache. Ich sage ihr nicht, dass ich sie nicht verstehen
kann, sage nur langsam auf Englisch, das klinge, als
kenne sie sich gut mit der Geschichte des Denkmals aus.
Mein selbst ernannter Guide lächelt, wechselt ins
Englische und erklärt, sie schlafe seit fünfzehn Jahren
neben dem Diplomaten, seiner Frau und dem Hund und
kenne deren gesamte Geschichte so gut wie ihre eigene.
Langsam, sich jedes Wort auf der Zunge zergehen
lassend, wiederholt sie:
„as my own.“
Gerade will ich fragen, ob sie noch einmal auf Englisch
wiederholen könne, was es nun mit dem Diplomaten,
seiner Frau und seinem Hund auf sich habe, da fragt sie
mich, wie alt ich sei und woher ich komme.
„Germany“, murmelt sie.
„The Germans deported my parents during the
war...They must have died in one of the camps, in which
I'll never find out.“
Während des Studiums habe sie sich dann viel mit
deutscher Kultur beschäftigt.
„Supposedly my way of dealing with the past.“
Neugierig frage ich, was sie studiert habe und erfahre,
dass die mir Gegenüberstehende im schwarzen Kostüm
mit Absatzschuhen und Fliege, die nach eingetrocknetem
Urin und Schweiß von Wochen riecht und deren Haare
so verfilzt sind, dass sie wie eine schlechte Perücke
aussehen, Germanistik studiert und über die
Freundschaft Goethes und Schillers promoviert hat.
Sie
schwärmt mir, ohne dass ich ihren Gedankensprüngen so
schnell folgen kann, von Heidegger, Goethe und Schiller
vor und sagt dann, 20, 36, 63, und 86 seien ihre
Lieblingszahlen. Ich frage, wie sie darauf komme und
sie antwortet lächelnd:
„I'm a big fan of Mozart.“
Um 20 Uhr sei Mozart geboren worden, mit 36 Jahren
sei er verstorben, im Jahr 63 habe er auf Tournee seine
ersten Sonaten für Klavier und Violine geschrieben und
86 sei sein Figaro uraufgeführt worden.
Sie fragt mich
nach meiner Familie, meinem Namen und allem
möglichen und ich beantworte ihre Fragen und verkneife
mir, sie zu fragen, wie es kommt, dass sie neben dem
Diplomaten, seiner Frau und dem Hund schläft.
Als ich
gehe, wünscht sie mir, meiner Familie, meinen Freunden
und meinen Kindern, im Fall, dass ich noch keine hätte,
den späteren, dass sie immer gutes Wetter, viel Liebe
und viel Geld haben mögen. Als ich den Kopf schüttle
und sage, etwas Geld reiche, viel brauche man nicht,
packt sie meinen Arm, sieht mir eindringlich in die
Augen und wiederholt:
„Much money.“
Ich werde viermal von ihr auf die Stirn geküsst und
gesegnet und sage zu, noch einmal wiederzukommen.
Dass ich verspreche, am nächsten Tag zu kommen, reicht
ihr nicht, sie will wissen, wann genau, schließlich könne
sie nicht den ganzen Tag warten. Sie habe sehr viel zu
erledigen:
„Organise life, you know?“
Ich frage:
„Money?“
Sie antwortet nur:
„Starting with that.“