-Riga-


MOSCOW, MOSCOW


In einer russischen Kneipe singt eine Gruppe glatzköpfiger Jeansträger Karaoke und heißt mich beim Eintreten willkommen, als käme ich als Gast zu ihnen nach Hause. Über den an die Wand projizierten Kurzfilmen sind kyrillische Texte eingeblendet. Ein ganzes Lied lang klettert ein Kind immer wieder die Leiter einer quietschgelben Plastikriesenrutsche hoch und rutscht mit nicht endendem Enthusiasmus wieder hinunter.
An der Bar liegen geräucherte Barsche als Snacks in einem Korb, an den Haken eines Regals mit Biergläsern hängen Gummibärchenpackungen mit Fischgeschmack und eingeschweißte Heringe.
Als ein englisches Lied läuft, werde ich von den fünf Freunden mit vor das Mikrofon gezerrt und gezwungen zu singen. Sie stimmen mit ein und lesen den Text in ihrem starken russischen Akzent ab, ohne ihn zu verstehen. Einer der fünf, der selbst ernannte Übersetzer der Gruppe, sagt immerzu:
„You know, Riga is dangerous place for you. A lot of gangsters.”
Er zeigt auf einen seiner Freunde, einen beleibten Zahnlosen, der gerade Karaoke singt und fragt:
„What do you say if I tell you that my friend here has been in prison for five years for dealing with drugs?“
Ich betrachte den Zahnlosen, der gerade aufgehört hat zu singen, gutmütig lacht, sich dabei auf die Schenkel klopft und an seinem 1-Literbier nippt.
„I wouldn't care.“
Der selbst ernannte Übersetzer sieht mich spöttisch an und wiederholt:
„Riga for you is very dangerous place. A life is not worth much here, a tourist life nothing. If people see you they see a tourist. That's it.”
Ich sage, ich sei bereits an anderen Orten gewesen und er pfeift durch die Zähne, schlägt mir kumpelhaft auf die Schulter und sagt:
„Don't worry, here in this bar, in Russian bar, you are safe. We are your friends.“
Ich mache seinen kumpelhaften Schulterschlag nach und frage, wie es sei, als Russe in Lettland zu leben. Er schüttelt den Kopf und sagt:
„I grew up here, but my heart is for Moscow. I speak Russian, I feel Russian. People here, the Latvians, they do not speak my language. I don't speak Latvian.“
Als ich ihn frage, ob er sich vorstellen könne, mit einer Lettin zusammen zu sein, schüttelt er den Kopf und sagt: „For me, latvian girls are no good. For me, russian girls are good.“
Ich frage weiter, ob er denn noch nie in eine Lettin verliebt gewesen sei und sich überhaupt nicht vorstellen könne, sich in eine zu verlieben, schließlich lebe er in Lettland, doch er schüttelt wieder den Kopf und sagt:
„Not for serious, just for fun for a while. I am Russian after all. I need a russian wife that understands.“
Ich erzähle ihm von meinem Besuch im museum of occupation. Er sieht mich verärgert an und sagt: „What the Germans did in Latvia was horrible, was fashist. But this museum is shit. It's trying to tell people the Russians were criminals. Maybe Hitler was great guy but what he did for Latvia was no good. The Russians came and helped and now this museum says that was no good.”
Ich sehe ihn entgeistert an und er fragt:
„How do you feel about Hitler?“
Ich sage vorsichtig, Hitler sei offensichtlich geistesgestört gewesen, wenn auch neuesten Forschungsergebnissen zufolge nicht im medizinischen Sinn. Nach einer kurzen Stille, in der er mich groß ansieht, sagt er:
„I am happy you say this about Hitler. You know, I hate Germans, but you are okay.”
Dann erklärt er, natürlich hätten die Russen in Lettland auch Fehler gemacht: Das mit dem stalinistischen Rot und den großen Denkmälern beispielsweise sei etwas zu protzig für Lettland gewesen. Okay. Aber die Russen deshalb in einem halben Museum neben den Deutschen als Kriegsverbrecher darstellen? Die Amerikaner würden in Deutschland doch auch gefeiert für ihre Befreiung von Hitler, nichts anderes hätten die Russen für die Letten getan und statt Dankbarkeit nichts als Hass geerntet.
„And I have to live with that hate, you know?”,
sagt er und wiederholt:
„I am a Russian Latvian, living my russian life here.”
Er geht zurück zu seinen Freunden, hakt sich unter und singt mit: „Moscow, Moscow…