Dezember/Januar 2015/16Stadtteilmagazin ecke
Im Vorbeigehen könnte man den »Weinmichel« mit einer Galerie
verwechseln: Das Schaufenster des Wein- und Spirituosengeschäftes
ist kunstvoll dekoriert, der Laden in einer Mischung aus Antikem
und Design gehalten. Die hintere Wand ist in edlem Bordeaux gestrichen,
an der rechten hängt moderne Kunst. Nur die Regalwand auf
der linken Ladenseite verrät, um was es hier eigentlich geht: Wein.
Von Flaschen etablierter Marken bis hin zu ausgefallenen Neuentdeckungen
der Winzerszene führt der »Weinmichel« alles, was deutsche
Weinberge zu bieten haben.
Ursprünglich war der vordere Ladenbereich als reine Ausstellungsfläche
gedacht. Der gelernte Buchhändler und Restaurator Martin
Michel wollte nach ein paar Jahren im Wein-Großhandel mit dem
»Weinmichel« eine eigene Großhandlung aufmachen. Auf der Suche
nach geeigneten Büro- und Lagerräumen kam er dabei 2010 in den
Turmstraßen-Kiez. Die Miete war günstig, der Standort zentral.
2011 lernte Martin Michel dann Alexander Laurisch kennen. Der
ehemalige Journalist und Event-Manager teilte nicht nur Michels Begeisterung
für Wein, sondern auch seine Visionen. Gemeinsam mit
Michels Sohn Anton machten die beiden Männer aus dem »Großhandel
Weinmichel« im Laufe der Zeit ein Weinfachgeschäft mit
Eventkultur. Martin Michel kümmert sich mittlerweile nur noch um
den Großhandel, Alexander Laurisch um den Einzelhandel und die
Kundenbindung im Kiez. Der in Sterne-Restaurants ausgebildete
Koch Anton ist quasi der »Junge für alles«.
Sein Zuständigkeitsbereich reicht von der Betreuung der Facebook-
Seite bis hin zu den regelmäßig stattfindenden öffentlichen Weinproben:
Für 25 Euro werden an einem Abend acht Weine »verköstigt«.
Laien lernen bei dem »betreuten Trinken«, wie Laurisch die Verkostungen
nennt, unter anderem, dass Geschmack nichts mit dem Preis
zu tun hat. Doch auch Kenner können noch Neues erfahren. Zum
Beispiel, wie groß der Einfluss des Winzers auf den Wein ist: »Zwei
Winzer, zwei Rieslinge, gleiches Feld, gleiches Jahr, ganz unterschiedliche
Geschmäcker: Einer schmeckt nach Sommer im Glas, ein anderer,
als würdest du eine Schieferplatte ablecken«, beschreibt Laurisch.
Seit 2011, als der Weinmichel eröffnete, hat sich viel verändert im
Kiez. »Immer, wenn eine sozial schwächere Familie auszieht, zieht
ein junges Akademiker-Paar mit Kind ein«, beobachtet Anton Michel
und erzählt: »Neulich, beim Turmstraßenfest, kam eine Kundin, selber
junge Mutter, auf uns zu und meinte: ›Ihr seid zuständig für die
Gentrifizierung.‹« Alexander Laurisch zuckt mit den Achseln. Beide
Männer sehen die Veränderungen im Kiez eher postitiv. Klar sei es
schlimm, wenn Leute verdrängt würden. Aber die neuen Läden seien
spitze, allen voran der Eisladen namens »Einer dieser Tage«.
Mit den Neuzugezogenen und Neueröffnungen hat der Weinmichel
auch neue Laufkundschaft gewonnen. 90 Prozent der Einnahmen
stammen zwar nach wie vor aus dem Großhandel, doch der Kiez
spielt eine immer größere Rolle: Aus dem Weinmichel ist längst ein
belebter Laden geworden. Auch an diesem Montagabend kommt
eine Kundin nach Ladenschluss und bittet um eine Flasche des üblichen
für ihre Mutter. »Unsere Stammkunden kommen häufiger
abends auch einfach mal so und setzen sich auf ein Gläschen zu uns«,
sagt Alexander Laurisch.
Auch wenn sie die Gentrifizierung um den Laden herum nicht negativ
sehen: Egal ist den Weinmichel-Männern nicht, was im Kiez vor
sich geht. Im Sommer haben sie sich daher einen Kicker gemietet
und zu ein paar Gläsern und etwas Kickern geladen. Die Einnahmen
des Abends – immerhin ein dreistelliger Betrag – wurden von ihnen
an »Moabit hilft!« gespendet.
Obwohl alle drei in anderen Bezirken
wohnen, ist Moabit durch den Laden irgendwie auch ihr Bezirk geworden.
Anton Michel kann sich gut vorstellen, langfristig hier in
den Kiez zu ziehen: »Hier ist es im Vergleich doch noch sehr entspannt
und durchmischt.«