25.11.2015 taz.die tageszeitung


Love of Jesus



An einem Dienstagmorgen, kurz vor zehn, bietet der Tiefwerder Weg im Osten Spandaus ein ungewöhnliches Bild: In der kleinen Straße stehen an die 40 Menschen mit Einkaufsrollern dicht gedrängt vor einem verschlossenen Tor. Dahinter ist ein funktionaler 50er-Jahre Flachbau.Nur ein großes Kreuz macht ihn als Kirchengebäude kenntlich.

Ab elf Uhr gibt ein Helfer des karitativen Projekts „Herz & Hand“ hier vor der protestantischen Freikirche für jeweils 3 Euro Essensmarken aus, ab zwölf kann man für die Marke unten in den Kellerräumen der Kirche Obst bekommen, Gemüse, Brot, Blumen und was sonst gerade von den Discountern aussortiert wurde.

Um elf ist aus den etwa 40 Wartenden vor den Toren der Adventkapelle eine unzählbare Masse geworden, aus der Schlange ein Pulk, der von links nach rechts an den Zaun drängt.

Hinzukommende stellen sich nach vorne zu Bekannten oder drängen von rechts und links in die Mitte. Die Hintanstehenden versuchen, sich zu wehren, und schimpfen lautstark, die Drängler zucken mit den Achseln, sagen, sie hätten vorher schon angestanden, oder reagieren gar nicht.

Eine Afroamerikanerin, die mit ihren drei Kindern ganz hinten steht, bekreuzigt sich und murmelt: „By the love of Jesus – such behaviour in front of a church.“ „

Nich falsch verstehn, aber seit die gekommen sind, geht es in der Schlange zu wie auf’m Basar“, sagt eine Blondine mit ost-europäischem Akzent mit Blick auf eine Gruppe Syrer. „Dabei haben die es doch gar nicht nötig, hier wegen Essen zu stehen. Die bekommen doch schon so viel Begrüßungsgeld.“ „

Wo haben Sie denn so was her?“, fragt eine junge Frau. Die Blondierte scrollt auf ihrem Smartphone und hält der jungen Frau ein Fenster mit geöffneter Pegida-Seite hin: „Da. Das steht schwarz auf weiß auf Facebook!“