03.12.2015 taz. die tageszeitung


Schimmelware


Ich habe mein Buch vergessen, aber noch Zeit und steige daher Stadtmitte aus der U-Bahn aus, um mir eine Zeitung zu kaufen. Mit bereits gezücktem Portemonnaie bitte ich den Kioskbesitzer um eine taz. Er schüttelt den Kopf: „Nur Snacks und Kaffee.“

Ich glaube an ein Missverständnis und frage noch einmal: „Und den Tagesspiegel?“ Er verneint. „Keine Zeitungen.“ – „Und den Spiegel?“,versuche ich es ein letztes Mal. Er schüttelt wieder den Kopf.

„Sie sind ein Kiosk und führen keine Zeitungen oder Magazine?“, frage ich ungläubig, starre seine mit Süßigkeiten gefüllten Regale an und füge mehr zu mir selbst hinzu: „Und ich bin extra aus der U-Bahn ausgestiegen.“

„Sie können einen Kaffee haben – umsonst!“, sagt der Kioskbesitzer. „Es tut mir ja leid für Sie, aber ich habe den Laden seit zehn Tagen, und alle anderen wollen immer nur Kaffee, Kaugummi, Brötchen oder Zigaretten. In der Reihenfolge.“ –

„Aber haben Kioske nicht immer Zeitungen?“, frage ich etwas perplex. „War mal so“, erwidert er und schenkt mir ungefragt einen Kaffee ein. „Aber das lohnt sich echt nicht für die paar Leser in der Woche. Da gibt es gleich zwei Vertriebe, mit denen man Verträge machen muss. Beiden kann man sagen, was man will, die schicken einem gleich alles im Sortiment bis hin zu TV Total und Bild der Frau. Da zahle ich Schimmelware.“

In der U-Bahn setze ich mich nachdenklich in einen leeren Vierer. Eine gleichaltrige Frau und ein mittelalter angetrunkener Mann mit grünem Irokesenschnitt setzen sich mir gegenüber. Die Frau zieht einen englischsprachigen Wälzer aus der Tasche und beginnt zu lesen. Der Grünhaarige starrt eine Weile auf ihr Buch und sagt dann: „Mann, das ist ja echt toll! Das ist ja noch so richtig Druck auf Papier. Wahnsinn, ich find das klasse, echt. Du bist noch so ein richtiger Druckdinosaurier.“