31.12.2015 taz. die tageszeitung


Jemand wie Sie


In der Rossmann-Filiale am Kottbusser Tor steht eine Mutter mit ihrem Rollstuhl vor der Riesenauswahl an Babyprodukten und sucht nach einem geeigneten Tee für ihren circa neun Monate alten Sohn. Der Kleine sitzt in einer Babytrage auf ihrem Schoß und quengelt leise vor sich hin.

Ein Paar mit großem Kinderwagen kommt in dem engen Gang nicht an dem Rollstuhl vorbei und wartet zunächst noch geduldig, dann sichtlich genervter. Die Mutter im Rollstuhl bemerkt die beiden hinter sich nicht. Sie ist damit beschäftigt, ihren immer unruhiger zappelnden Sohn zu beruhigen.

Nach einer Weile räuspert sich die wartende Mutter mit dem Kinderwagen und sagt: „Ich will ja niemanden diskriminieren, aber wenn man nichts nimmt, muss man auch aus dem Weg gehen.“

Die Mutter im Rollstuhl entschuldigt sich und sagt mehr zu ihrem Sohn als zu den beiden gewandt: „Da hat die Mama die beiden gar nicht gesehen. Das kommt dann davon, wenn man zum Regal hin parkt. Dass die aber auch so viele Tees haben. Wie soll man denn da wissen, welchen man nehmen soll?“

Eine Mutter mit einem circa zweijährigen Mädchen stellt den Buggy ihres Kindes neben den dreien ab. Die Tochter der Dazugekommenen versucht, unbemerkt von ihrer etwas entfernt stehenden Mutter, aus dem Buggy rauszuklettern, und kann von der Frau im Rollstuhl im letzten Moment gerade noch davon abgehalten werden.

Ihre Mutter sieht die Szene von Weitem, kommt heran und bedankt sich. Dann sagt sie mit Blick auf den Sohn der Rollstuhlfahrerin in der Trage: „Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich muss echt sagen: Ich habe wirklich größten Respekt vor Ihnen. Ich weiß als Mutter ja, wie schwer es sein kann mit einem Kind. Ich finde es ganz toll, zu sehen, dass jemand wie Sie ein Kind hat.“